ADHS & Burnout
Warum ein ADHS-Gehirn oft im «Krisenmanagement» feststeckt, unter Umständen bis zum Zusammenbruch
Schon als Kind habe ich mich immer aufs Schlimmste vorbereitet, ohne zu wissen, warum.
Ich hatte ständig Angst, dass etwas Furchtbares passiert.
Zum Beispiel, dass jemand einbricht, dass meine Familie stirbt, dass es Krieg gibt, ich krank werde und sterbe bis hin zum Zusammenbruch der gesamten Welt.
Ich verstand nicht, warum mein Hirn ständig so dramatische Gedanken produzierte.
Heute weiss ich, ADHS bedeutet nicht einfach ein Fokusdefizit, sondern ein Hyper-Bewusstsein (Extreme Wahrnehmungsstärke), emotionale Empfindlichkeit, hochsensible Antennen und deshalb ein Gehirn, welches unablässig die Umgebung nach Gefahren scannt.
Ich dachte (und denke zum Teil noch heute) in Katastrophen-Szenarien, weil mein Nervensystem in ständiger Bereitschaft ist.
In meinem Kopf wiederhole ich oft schwierige und schmerzhafte Gespräche, erfahrene Ablehnung und habe teilweise grosse Schwierigkeiten, diese loszulassen.
Man bezeichnet dies als «Overthinking» / Dauergrübeln – für mein Gehirn hingegen ist es ein Überlebensmodus.
Ich bin in einer emotional unberechenbaren Familie aufgewachsen. Der Vater verliess uns, als ich 7 war, auf Nimmerwiedersehen.
Mal war meine Mutter distanziert, emotional nicht verfügbar oder emotional reaktiv (reizbar).
Mal schien sie lieb zu sein, dafür aber heillos überfordert.
Sie verstand mich nicht und umgekehrt.
Und immer, wenn sich die Beziehung zu ihr unsicher anfühlte, reagierte mein Hirn mit Angst.
Aber meine Gedanken und Emotionen waren keineswegs willkürlich.
Vielmehr waren sie Reflektionen
- Wie sicher ich mich fühlte als Kind
- Wie verlässlich meine Beziehungen waren
- Was ich zu vermeiden / zu verhindern versuchte.
Meine Ängste waren nicht einfach grundlos da, sie waren die Antwort auf meine unerfüllten emotionalen Grundbedürfnisse als Kind.
Ich verbrachte Jahre damit, mich vor meinen eigenen Ängsten zu fürchten.
Man sagte mir immer wieder, Ängste sind etwas, das man loslassen muss und bedeuten, dass etwas nicht stimmt mit mir.
Aber diese Ängste waren nichts anderes als Trauer, Schmerz und hilfloses Warten darauf, wahrgenommen zu werden.
Mein Gehirn wollte sich nur sicher fühlen. Aber da dies nicht funktionierte, suchte es nach anderen Kontroll-Strategien.
Für meine Umwelt war es ständiges Planen und mein konstantes Rückversichern, was wahrgenommen wurde – ebenso meine emotionalen Ausbrüche, wenn etwas nicht lief, wie geplant.
Und für mich?
Für mich war es immerwährendes Aufräumen um mich herum und der verzweifelte Versuch Ordnung zu schaffen, wo ich keine Ordnung fühlte.
Die Wurzel meiner Ängste war die Befürchtung, verlassen zu werden und allein zu sein.
Für mich machte es absolut Sinn, Angst vor dem Verlust der Familie zu haben – ich musste ja bereits von jeher Verluste bewältigen – den Verlust bzw. die Absenz von emotionaler Sicherheit und dem Gefühl der bedingungslosen Annahme.
Es gab Zeiten in meinem Leben, da habe ich nicht mehr als 4 Stunden pro Nacht geschlafen. Aber oft lag ich wach und machte mir Sorgen um alles und jedes. Krampfhaft versuchte ich, immer auf alles vorbereitet zu sein. Die Vorstellung, überrascht zu werden und nicht zu wissen, was passiert, ängstigte mich zu Tode.
Und ich habe lange sehr, sehr gut funktioniert – von aussen betrachtet. Ich habe mir und anderen versichert, ich sei eine Maschine. Ging es mal nicht so gut, fiel ich kurz in mein tiefes «Loch», leckte meine Wunden, weinte und bemitleidete mich. Und kurz darauf kletterte ich wieder raus und machte weiter wie zuvor. Stillstand ist der Tod. Oder ich überspielte halt alles mit Humor.
Es gab auch Momente, in denen ich schüchtern und leise um Hilfe fragte. Aber das wurde entweder nicht gehört oder nicht ernst genommen. Sehr oft wurde ich in solchen Situationen «weggelobt» - das machst du doch sonst auch super, du schaffst das, das hast Du noch immer allein geschafft. Also fragte ich irgendwann nicht mehr. Und war weiterhin die allzeit bereite Frau, die alle in mir zu lieben schienen, auch wenn ich mich wie die grösste Mogelpackung aller Zeiten fühlte.
Mein Körper sendete mir mit der Zeit immer deutlichere Signale – der Dauerstress und die permanente muskuläre Anspannung verlangten ihren Tribut. Aber ich hatte Angst davor, Pause zu machen, meine Lebensweise zu ändern. Im Gegenteil, ich versuchte mich, mit Arbeit abzulenken. Alles wird gut! Ich darf nur nicht aufgeben.
Meine Coachees warnte ich vor solchen Anzeichen und der Gefahr eines Burnouts, aber ich ignorierte sie stur.
Und letzten Sommer ging dann plötzlich nichts mehr – der komplette mentale und physische Zusammenbruch gefolgt von 10 Wochen in einer Burnout-Klinik – Diagnose mittelgradige Erschöpfungsdepression.
Und was soll ich sagen, der Entscheid, stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen, sie regelrecht einzufordern hat mich gerettet.
Ich habe viel gelernt über mich, mein Leben, meine Glaubenssätze und Verhaltensmuster, aber vor allem eine wichtige Lektion:
Ein «unsicheres» ADHS-Gehirn wird immer nach Möglichkeiten suchen, sich Sicherheit zu verschaffen und den Kontrollverlust zu vermeiden.
Diese Sicherheit kann ich jedoch selbst herstellen – das weiss ich jetzt – theoretisch.
Mein Training hat begonnen…
Natürlich habe ich mir die Frage gestellt, ob diese Episode meines Lebens meiner Professionalität als ADHS-Coach schadet. Aber nur ganz kurz. Und dann habe ich sie mit «Nein» beantwortet.
Ich bin ADHS-Coach und ich habe ADHS. Aber vor allem bin ich Mensch und eben doch keine Maschine. Und dafür bin ich dankbar.